Ich mache mir Sorgen um mein Land.

Aus gleich mehreren Gründen sogar. Die politische extreme Rechte erstarkt mehr und mehr und wenn wir so weitermachen, sie ungehindert erstarken und vielleicht sogar an die Macht gelangen kann, sind wir auf einem Weg in ein Land, das nicht länger meines ist. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Hass und Zorn auf alles Fremde und Andersartige offen salonfähig, ja, gar von oberster Stelle vorgelebt und verlangt sind. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem nicht zählt, wer ich bin, was ich leiste und was ich tue, sondern nur, wie ich heiße und wo ich herkomme. Zugegebenermaßen kann mir, als “Biodeutschem” das an sich leidlich egal sein, sollte man meinen. Ist es aber nicht. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem meine Frau nicht willkommen ist, weil sie ursprünglich aus Polen kommt, auch, wenn sie seit über 8 Jahren hier lebt, hier Steuern zahlt und hier ihren Beitrag leistet und damit bereits weitaus mehr tut, als so mancher aus dem rechtsextremen Spektrum sein ganzes Leben lang vorzuweisen hat.

Die politische Rechte – der aufmerksame Leser wird an der Stelle merken, dass ich zwischen rechts (= durchaus noch demokratisch, aber eben rechts/sehr konservativ) und rechtsextrem (= nicht länger auf dem Boden der FDGO und des Grundgesetzes stehend bis selbige sogar offen ablehnend und bekämpfend)  unterscheide – sieht dem Ganzen zu und weiß nicht so recht, was sie tun soll, so kommt es einem vor. Auf der einen Seite sind sie durchaus Vertreter der Demokratie und stehen mit beiden Beinen, wenn auch manchmal etwas wacklig, auf dem Boden unserer demokratischen Grundwerte und treten für diese ein und können daher eigentlich nicht für die politische extreme Rechte sein; das schließt sich kategorisch aus. Auf der anderen Seite jedoch kolportiert die politische extreme Rechte aber auch Teile der Werte, für die die demokratische Rechte ebenfalls einsteht und “es ist ja nicht alles schlecht, was sie sagen“. Und genau das ist die Crux und da verstehe ich die demokratische Rechte sehr gut. Auch ich habe Punkte, bei denen ich der AfD zustimmen muss. Weil sie schlicht vernünftig sind, grundlegend und simpel. Selbst der linkeste Linke wird diesen Punkten zustimmen wollen, es aber natürlich öffentlich niemals können. Bevor nun wieder Schnappatmung und Panik ausbrechen: jede Partei hat solche Punkte, denen so gut wie jeder zustimmen kann; dies war selbst bei der NSDAP der Fall. Dies sind i.d.R. Punkte der Kommunal- oder Lokalpolitik, manchmal auch Umweltpolitik oder andere Punkte, die schlicht und ergreifend keine Berührungspunkte mit “den bösen Themen” haben. Solange es nicht um Ausländer, Migration, Außenpolitik oder Justiz geht, wird eigentlich so ziemlich jeder Mensch, egal welche politische Grundeinstellung er selbst haben mag, bei so gut wie allen Parteien Punkte vorfinden können, denen er unumwunden zustimmen kann. Selbst bei Parteien, die er eigentlich dem “Feindlager” zuordnet.

Die politische Linke, extrem wie gemäßigt, versteift sich zusehends darauf, “gegen Rechts” zu sein und springt nur allzu bereitwillig auf den von der Rechten, extrem wie gemäßigt, bereitgestellten Zug des Themenkomplexes “Ausländer und Migranten” auf. Die Rechte ist dagegen, die Linke ist gegen die Rechte. Niemand ist mehr für etwas. Unsere Gesellschaft verkommt zu einer Gesellschaft, in der es nicht mehr opportun ist, auch mal für etwas zu sein. Es interessiert niemanden, wenn du für eine Sache bist, viel wichtiger ist doch, wogegen du bist und vor Allem, ob du gegen “die richtigen” Dinge bist!

In all dem Gerangel Rechts gegen Links, Gemäßigte gegen Extreme, Extreme gegen Extreme, alle vorangegangenen gegen den Staat, jeder gegen jeden, geht eine Gruppe unter: die (vernünftige) Mitte. Der “normale Bürger”, der eigentlich nur in Ruhe und Frieden leben möchte, der sich Lösungen für ganz handfeste, alltägliche Probleme wie steigende Mieten, sinkende Renten/Kaufkraft, schlechte Verkehrsanbindungen, schlechte medizinische Standards, hoffnungslos veraltete und unmoderne Technologien und Strukturen in Amt und Alltag, zu viel Bürokratie und dergleichen mehr wünscht. Diese Themen sind nicht opportun. Sie sind nicht medienwirksam. Damit lässt sich keine Quote machen. Und doch sind es Themen, die den normalen Bürger interessieren, weswegen er sich von der Politik allein gelassen fühlt. Der normale Bürger hat das Gefühl, die Politik versteht ihn und seine Bedürfnisse nicht. Und wie könnte sie auch? Unsere Politiker leben in einer gefühlt völlig anderen Dimension, verlieren sich in Sachfragen und Bürokratie oder bekämpfen sich gegenseitig.

Es ist erst ein paar Tage her, da zeigte sich am Beispiel des Hammelsprungs im Deutschen Bundestag recht deutlich, wo unsere Probleme liegen und weshalb ich mir Sorgen um mein Land mache.

Die AfD stellt den Antrag, die Beschlussfähigkeit des Deutschen Bundestages festzustellen, da sie ebenjene anzweifle. Erstmal in Ordnung, darf jeder, kann jeder, ist völlig in Ordnung. Wenn man das tut, obwohl man einer Fraktion angehört, die selbst mehrheitlich nicht anwesend ist, ist das zwar ein wenig merkwürdig, um nicht zu sagen dumm, aber gut, bleibt jedem selbst überlassen. Das sich im Anschluss daran entstehende, rund 25-minütige Debakel muss man sich allerdings erst einmal zu Gemüte führen. Die anwesende Vorsitzende erläutert daraufhin erst einmal minutenlang, wie dieses Procedere nun vor sich zu gehen habe und verweist mehrfach darauf, dass es für dies und das und jenes und alles Regeln gebe. Gut und schön. Diese Regeln allerdings sollten, diesen Anspruch stelle ich durchaus an Menschen, die dafür streckenweise absurd hoch anmutende Entlohnungen bekommen, sich mit genau diesen Dingen auszukennen und da tatsächlich Fachkräfte zu sein, alle Mitglieder des Deutschen Bundestages kennen. Allein schon, diese binnen weniger Minuten mehrfach rezitieren zu müssen, ist absurd. Dann braucht es, obwohl – wie sich am Ende herausstellt – gerade mal rund 150 Abgeordnete anwesend sind, gute 5 Minuten, bis dann auch wirklich alle Abgeordneten sich endlich mal nach draußen bequemen. Man sieht im Video deutlich, wie selbst 2 Minuten nach der Aufforderung der anwesenden Vorsitzenden immer noch Abgeordnete auf ihren Stühlen sitzen, anstatt sich nach draußen zu begeben. Spätestens an der Stelle fühlte ich mich beim Anschauen des Spektakels verarscht und fragte mich, inwiefern wir als Volk uns eigentlich wirklich von einem solchen Kindergarten vernünftig vertreten fühlen sollten. Beim Anschauen des betreffenden Videos fragte ich mich mehrfach, ob ich da gerade einer Sitzung des Deutschen Bundestages zusah, oder vielleicht doch eher einer Aufführung eines Trauerspiels in mehreren Akten.

Bei einem solchen Hammelsprung wird dann, und hier wird es aus Sicht eines technikaffinen Menschen nochmal besonders affig, ganz traditionell und auf althergebrachte Weise verfahren: die Abgeordneten, die für den Antrag sind, betreten den Plenarsaal nun erneut und zwar durch eine Tür, die mit “Ja” markiert ist. Die Abgeordneten, die dagegen sind, betreten den Plenarsaal durch die “Nein” Tür und jene, die sich enthalten, betreten ihn….naja, Sie werden es erraten haben, durch die mit “Enthaltung” beschriftete Tür. Im Zeitalter der Smartphones, kleiner Geräte, die deutlich leistungsfähigere Prozessoren haben, als mein erster Computer vor >30 Jahren, zählen Schriftführer (auch hier gibt es Regeln: je einer aus der Opposition sowie der koalitionstragenden Parteien), wieviele Abgeordneten durch welche Tür hereinkommen und halten dies (hand)schriftlich – auf Papier natürlich – fest. Natürlich, denn anders wäre der Kindergarten ja nicht komplett, muss die anwesende Vorsitzende auch mehrmals darum bitten, die Türen entsprechend freizuhalten, nachdem man durch eine davon wieder hineingekommen ist, damit weitere, nachfolgende Abgeordnete eben durch die jeweils gewünschte Tür hineinkommen können. Mir fallen allein aus dem Stegreif mindestens 5 Methoden ein, wie man eine solche Situation effizient, kostengünstig und ohne den Kindergarten des “hoffentlich verlassen dann nun bitte bitte bitte alle geordnet den Saal und kommen dann wieder geordnet herein” lösen könnte. Stattdessen muss man in Deutschland, einer Nation, die erst neulich noch als “innovationsreich” gewürdigt wurde, eine solche Situation über “wer geht durch welche Tür” lösen. Absurd, einfach nur absurd. In der tiefsten tschechischen Pampa hatte ich im Urlaub deutlich schnelleres mobiles Internet und deutlich besseren Empfang als vor meiner Haustür oder in einer immerhin doch mittelgroßen Deutschen Stadt wie Karlsruhe. Unsere Infrastruktur in Bezug auf Breitbandinternet ist ein schlechter Witz, wir haben weite Landstriche, in denen man außer über völlig überteuertes LTE (welches dann auch nur mit deutlich verringerter Geschwindigkeit verfügbar ist, als LTE eigentlich aussagt) nicht an Breitbandinternet herankommt. Wohlgemerkt Landstriche, die teilweise in Wurfweite großer Städte oder Ballungszentren liegen. Unsere Volksvertreter stimmen per Handzeichen ab. Beschließen Sachverhalte darüber, wer durch welche Tür hereinkommt und zählen auf diese Weise auch gleich, ob denn überhaupt mindestens die Hälfte des Bundestages anwesend ist.

Ich möchte ganz ehrlich sein. Mir macht das Angst. Mir macht Angst, wie abgewandt und realitätsfremd Deutsche Politik ist. Mir macht Angst, wie bereitwillig sich Deutsche auch 70+ Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch durch stumpfe Parolen und simple Feindbilder hochschaukeln lassen. Mir macht Angst, wie wenig Zulauf die Stimme der Vernunft, der Mitte des Volkes, des gemeinen Bürgers bekommt. Mir macht Angst, wie oft man simple Sachverhalte wie all das oben Genannte, wiederholen kann, ohne auch nur den Hauch einer Veränderung oder gar Besserung damit zu bewirken.

Wenn wir nicht in einer ganz miesen Situation enden wollen, müssen wir jetzt aufstehen und unsere Ärsche hochkriegen. Raus aus dem Sud, in dem wir bequem und warm vor uns hinköcheln und rein in die Realität. Was Deutschland jetzt braucht, ist Fortschritt, Entwicklung und echte Alternativen zu alteingesessenem “Aussitzen” und Verwalten. Deutschlands Problem sind nicht die Migranten. Deutschlands Problem sind unsere Politiker, die denken, man kann alles aussitzen und vor sich hinverwalten, ohne progressiv neue Wege zu gehen. Das geht nicht ewig gut und die Rechnung für jahrzehntelanges “Vor sich hin regieren” bekommen wir gerade. Eine AfD, die – düster betrachtet – bald zweitstärkste Kraft im Bundestag sein könnte und unsere Hoffnung, so absurd es da nun auch klingen mag, sind die Grünen, denn sowohl CDU als auch SPD verlieren drastisch und rapide an Vertrauen. Das ist der Trend, der sich gerade abzeichnet. Deutschland, seriously, das kann nicht Dein Ernst sein.

Es wäre jetzt an der Zeit, Politik in der Sache zu machen und sich über Parteigrenzen hinweg zu verständigen, zusammenzuraufen und eine Politik zu machen, die Deutschland wieder voranbringt. Da hilft aber auch das Lindner’sche “Jetzt erst recht kein Jamaika mehr!” kein Stück, denn auch das klingt trotzig, kindisch und weinerlich. Jetzt müssten eigentlich alle demokratischen Parteien, links wie rechts wie mittig wie grün, aufwachen und zusehen, das Land hin zu Fortschritt, Progressivität und Vernunft zu bringen und damit völlig automatisch weg von der AfD.

Schön wäre es, bliebe dies kein Traum, oder?

Von badidol

badidol wurde 1981 geboren. Er arbeitet seit fast 20 Jahren im und am Internet als Community Manager (fast 15 Jahre beim selben Arbeitgeber), Social Media Manager, Moderator und verkauft dabei Eskimos Kühlschränke. Er spricht fließend Sarkastisch. In der Jugend linke Socke, als junger Erwachsener eher sozialliberal und mittlerweile von konventionellen Schubladen genervt. Atheist, Pragmatiker und Realist.

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